Normalerweise bringen wir Selbstbewusstsein und Schmerz auf den ersten Blick nicht in Verbindung. Viele Menschen mit chronischen Schmerzen bekommen allerdings allein schon beim leisesten Gedanken, wieder Schmerzen zu erleiden, einen Panikzustand und sind deshalb sehr verunsichert. Panik und Verunsicherung entstehen aus der Erfahrung, dem Schmerz hilflos ausgeliefert zu sein und nicht zu wissen, wann der Schmerz einen wieder überfällt.

Typisch für chronische Schmerzen ist auch, dass Medikamente nur sehr beschränkt helfen (in etwas mehr als 50% der Fälle sollen sie helfen). Auch die Kombination verschiedener Verfahren bringt wenig bis keine Verbesserung. Es existiert kein objektives Messverfahren für chronische Schmerzen, bspw. auch kein eindeutiger Bluttest.

Nach wissenschaftlicher Lehrmeinung können wir trotzdem lernen, chronische Schmerzzustände mit Psychologe und Psychotherapie oder auch selbst zu regulieren, zumindest in großen Teilen oder sogar vollständig. In diesem Kontext bedeutet selbstbewusster zu werden ein zuversichtlicherer Umgang mit chronischen Schmerzen.

Sind Schmerzen aus neurowissenschaftlicher Sicht etwas Objektives?

Ein Mensch mit chronischen Schmerzen wird diese Frage ohne Wenn und Aber mit einem unmissverständlich klaren „Ja“ beantworten. Und daran soll auch nicht gerüttelt werden. Schon gar nicht dahingehend, dass jemand, wenn er Schmerzen hat, „nicht richtig im Kopf“ sein könnte.

Neurowissen

Die Neurowissenschaften verstehen aber Schmerz zunächst als nichts Anderes als einen elektrischen Impuls, der von einem Schmerzrezeptor am Ort des Schmerzgeschehens über das Rückenmark ins Gehirn geleitet wird. Dieser elektrische Impuls ist allerdings nicht der Schmerz. Der wahrgenommene Schmerz entsteht erst in unserem Gehirn!

Dies wirkt sich messbar in wissenschaftlichen Studien aus: Bspw. benötigen Singles mit einer schlechteren beruflichen Situation, als Menschen in guter Partnerschaft und besserer beruflicher Situation, bei derselben medizinischen Krankheit mehr Schmerzmittel als die Kontrollgruppe. Man könnte daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass Alleinsein und eine schlechtere soziale Situation in unserem Gehirn beim selben elektrischen Schmerzimpuls dazu führen, dass wir denselben Schmerzimpuls empfindlicher interpretieren.

Tatsächlich sind an der Schmerzinterpretation in unserem Gehirn mindestens der somatosensorische Cortex, das limbische System, der präfrontale Cortex und das anteriore cinguläre Cortex beteiligt und wahrscheinlich noch einige andere Schaltstellen. Erst unter Einbeziehung dieser Schaltstellen, die unsere Wahrnehmung u.a. emotional, kognitiv und sozial einfärben, erleben wir die Schmerzen, die wir dann tatsächlich subjektiv „haben“ und unter denen wir leiden.

Unser Schmerzgedächtnis

Ein weiterer wichtiger Faktor ist unser Gedächtnis. Es spielt eine entscheidende Rolle, wenn Schmerzen chronisch werden. Schmerzreize, die sich wiederholen, werden von unserem Gefahrenbewältigungssystem automatisch und ohne unser bewusstes Zutun erlernt. Es merkt sich jede Position unseres Körpers, in der wir einmal Schmerzen gehabt haben. Dadurch wird auch unsere Empfindung für Schmerzen sensibler und wir haben Angst, wieder in diese Position zu kommen und dann dieselben Schmerzen zu erleiden: Die Angst intensiviert diesen Lernprozess erheblich. Durch Schmerz verändert sich also unser Gehirn. Beim Phantomschmerz kann das Gehirn chronische Schmerzen sogar ohne physische Ursache (re-?)produzieren!

Posttraumatische Belastungsstörung durch Schmerzen

Unter diesen Umständen verliert der Schmerz seine für aktue Situationen warnende Funktion und Menschen mit chronischen Schmerzen erleben so etwas wie eine permanente Folter, eigentlich eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Dadurch wird die normale Lebensfreude eingeschränkt und das Gehirn bekommt immer weniger positive Impulse, die zu einer normalen Verarbeitung und zum Vergessen von Schmerz gehören würden. Am Ende ist die Erinnerung an den Schmerz allgegenwärtig, ob er da ist oder nicht, und eine Folge ist bspw. Depression, für die u.a. körperliche Symptome ohne medizinisch diagnostizierbare Grundlage typisch sind.

Chronische Schmerzen, wie wir sie erfahren, sind also ein Wechselspiel aus Schmerzerfahrung und subjektiver Schmerzinterpretation.

Selbstbewusster werden – ein Weg aus den chronischen Schmerzzuständen?

Unter welchen Umständen werden wir generell selbstbewusster? Wir werden selbstbewusster, wenn wir etwas kontrollieren können, wenn es klappt, was wir tun. Genau das kann das Gehirn des Menschen mit chronischen Schmerzen und somatoformen Störungen lernen: Es kann lernen die Schmerz zu kontrollieren und dadurch zu vergessen!

In einem wissenschaftlichen Versuch einer Forschergruppe um Sean Mackey und Christopher deCharms von der Stanford University lernten Menschen, die Aktivität bestimmter eigener Gehirnregionen gezielt zu beeinflussen. Das Experiment wurde mit einem funktionellen MRT durchgeführt. Dabei sahen die Versuchteilnehmer ihre eigene Gehirnaktivität auf einem Bildschirm und beeinflussten die Aktivität des anterioren cingulären Cortex (veranlasst u.a. die Ausschüttung von schmerzlindernden Endorphinen) durch Lenkung der Aufmerksamkeit, durch Versuche, die Schmerzen neutral zu sehen und durch andere kognitive Kontrollverfahren.

Die Versuchspersonen lernten dabei in relativ kurzer Zeit, die Intensität ihrer Schmerzen selbst zu vermindern, im Schnitt auf 56 % der ursprünglichen Intensität. Dadurch wurden sie selbstbewusster in Bezug auf ihre chronischen Schmerzen, weil die  bisherige Ohnmacht abnahm.

Wir können tatsächlich chronische Schmerzen vergessen, so wie wir viele Ereignisse, auch schmerzhafte, aus unserer Kindheit vergessen! Vergessen ist eine aktive Leistung unseres Nervensystems und kann psychologisch induziert und gefördert werden.

Psychologe und Psychotherapie können helfen

Die Technik (mit fMRT und komplexen Computerprogrammen) in dem oben dargestellten Versuch war natürlich sehr aufwändig. Sie zeigte aber, dass ein Feedback die Versuchspersonen motiviert, weniger Schmerzen über das eigene Wollen zu „erzeugen“. Dieser Effekt lässt sich über natürliche Biofeedbackmechanismen, wie sie jeder Mensch in seinem Alltag selbst einsetzen kann, wiederholen. Dazu ist allerdings eine professionelle Anleitung sinnvoll.

Außerdem können in einem professionellen Kontext die emotionalen und kognitiven Aspekte des Schmerzes bearbeitet werden. Diese Faktoren spielen in der wahrgenommenen Schmerzintensität eine dominierende Rolle. Zumindest vermuten die Forscher, dass die Chronifizierung des Schmerzes stark mit emotionalen Faktoren korreliert.

„Nur die nervlichen Aspekte von Schmerz in Betracht zu ziehen und die motivationalen und affektiven Anteile zu ignorieren bedeutet, einen Teil des Problems wahrzunehmen; aber der nervliche Teil ist bestimmt nicht am Wichtigsten.“ (Melzack R, Casey KL. Sensory, motivational, and central control determinants of pain. In: Kenshalo DR, Herausgeber. The Skin Senses. Springfield, IL , Thomas; 1968. pp. 423–439.)