Fallstricke für das gute Leben

Wir glauben viel zu häufig, dass veränderte Lebensumstände, wie die Corona Krise, die geltenden Gesetzmäßigkeiten unseres Lebens durcheinanderbringen. Deshalb verlieren wir leicht unsere Unbeschwertheit.

Negative Stimmungen und Sorgen, diesen aktuellen Coronazeiten entsprechend, vermitteln uns, dass die Zukunft nur mit großen Unsicherheiten in den Griff zu bekommen ist, die Wahrscheinlichkeit zu scheitern könnte groß sein. Diese fatale Zukunftsperspektive löst bei vielen reflexartig Aktionismus oder auch Nichtstun (wenn selbst der Aktionismus ohne Perspektive ist) aus. Wir verfallen leicht in Aktionismus, wenn unsere Biologie einen unbekannten Feind bekämpfen will, für den es kein angeborenes oder erlerntes Gefahrenbewältigungsmuster gibt.

Unbekannte Gefahren sind die, für die wir keine Sinne haben, auf die wir also nicht biologisch reagieren können, sondern höchstens mit „Wissen“. Dieses Wissen kann aus Fakten oder Illusionen bestehen. Beispiele dafür:

  • Unsichtbare Fakten: Die Europäer konnten Amerika relativ leicht erobern, weil die Europäer für die menschlichen Sinne nicht wahrnehmbare Krankheiten wie Pocken, Grippe, Cholera und Masern eingeschleppt haben, gegen die die Europäer selbst weitgehend resistent waren; es starben weit mehr Indianer an diesen Infektionskrankheiten, als bei den Kriegshandlungen infolge der Eroberung. Der Aktionismus der indianischen Urbevölkerung bestand in dem Versuch, ohne Koordination der einzelnen Ethnien die Europäer zurückzudrängen.
  • „Unsichtbare“ Illusionen: Hitler brachte die öffentliche Meinung der Deutschen zu Beginn des zweiten Weltkriegs durch Propaganda hinter sich, indem er zur Vergeltung für einen polnischen Angriff auf Deutschland aufrief, der tatsächlich nie stattgefunden hatte; erst Propaganda, deren Informationsgehalt vom einzelnen Bürger nicht geprüft werden konnte („Wissen“), ermöglichte den Beginn des 2. Weltkrieges. Der Aktionismus der Bevölkerung bestand darin, der Nachricht Hitlers Glauben zu schenken.

Die Differenzierung zwischen Fakten und Illusionen ist für uns überlebenswichtig und die Basis fast aller menschlichen Auseinandersetzungen, ich nenne stellvertretend nur den Begriff „fakenews“. Eine Differenzierung übersteigt allerdings den Rahmen dieses Artikels. Aber wir verfolgen hier den anderen ziemlich häufigen Fall weiter, in welchem man nicht befriedigend zwischen Fakten und Illusionen unterscheiden kann. Das ist vielleicht sogar der Normalfall in vielen Situationen, vor die uns das Überleben in unserer Gesellschaft stellen. Beispiele dafür wären: hält der heranbrausende Autofahrer noch, wenn ich den Zebrastreifen kurz vor knapp überquere?; macht mir mein (Steuer-, Wirtschaft-, Strategie-) Berater (Pfarrer, Arzt, Psychologe, Lehrer, die Medien etc.) nur Angst, oder bringt er mich mit meinen Anliegen tatsächlich weiter?; wie entwickelt sich meine Geldanlage?

Es ist nachvollziehbar, dass Aktionismus aus Sorge vor den Folgen unbekannter Gefahren in den beschriebenen und ähnlichen Situationen (die ein Risiko darstellen können oder auch nicht) dazu führt, dass wir uns verheddern!

Welches Handeln könnte Aktionismus ersetzen?

Mit den oben erwähnten Gesetzmäßigkeiten meine ich, dass ein gutes Leben nach bestimmten Regeln erfolgt. Diese Regeln gelten unabhängig von unserer aktuellen emotionalen Verfassung (als einer Folge belastender Umstände).

Man sagt beispielsweise, dass erfolgreiche Menschen, wenn sie hinfallen, einmal mehr aufstehen, als weniger erfolgreiche (das hört sich auch machbar an). Diese Gesetzmäßigkeit gilt – mit und ohne Lockdown.

Der Lockdown oder Corona könnten eigentlich nur eine fatale Ausrede dafür sein, dieser Regel nicht zu folgen. Man würde möglicherweise persönliche Beziehungen, die Leistung am Arbeitsplatz, Gesundheit, Arbeit an einer guten Zukunft etc. schleifen lassen, um stattdessen nur auf die Zahlen aus den Nachrichten zu starren. Genau dieser Fokus auf das Risiko bringt uns psychologisch aber erst recht in die Position, in der die Maus vor der Schlange erstarrt. Sobald die Maus sich aus Aktionismus bewegt, beißt die Schlange todbringend zu!

Auch wenn wir mit der aktuellen Problematik vor einer neuen Herausforderung stehen, ist es wichtig, so zu leben, wie wenn die bedrohliche Situation tatsächlich nicht da wäre. Diese bewusste Veränderung der Perspektive verkleinert den Fokus auf das Problem und öffnet unseren Fokus auf all die Aspekte des Lebens, die nicht von Corona betroffen sind, auch wenn man diesbezüglich vielleicht erst einmal wieder kreativ sein muss. Diese Perspektive schafft inneren Abstand, eine Tugend, die man sowieso pflegen sollte. Die vorgeschlagene Perspektive bedeutet keinesfalls das Ignorieren von Fakten. Sondern eine Einstellung der Art, dass die aktuelle Situation in Ermangelung von Alternativen als selbstverständlich zu beachten ist; aber unser Denken, Planen und Handeln für ein ganz normales Leben und eine normale Zukunft müssen doch trotz allem nicht ausgesetzt sein! Diese Perspektive hat den Insassen der Konzentrationslager geholfen, den Schrecken zu überleben.

Unter Beachtung der Gegebenheiten tun wir also so, wie wenn das Leben seinen normalen Trott gehen würde. Wir freuen uns über ein Lächeln, gutes Wetter, ein nettes Wort oder eine Auszeichnung; wir gehen einer Tätigkeit nach, die uns nach Möglichkeit Abstand zu den Einschränkungen des Alltags und einen kreativen Umgang mit den Einschränkungen vermittelt. Und wenn wir anderen eine kleine Freude bereiten, tut das erst recht gut. Wer diesen Trott aus Zeiten vor Corona vergessen haben sollte, kann sich die Frage versuchen zu beantworten, ob man eher mit dem Starren auf die präsentierten Fakten und Illusionen der gegenwärtigen Situation, oder doch mit kreativen Lösungen für die Zukunft, der eigenen Familie, Karriere, dem Erlebnishunger oder der Gesundheit, ein gutes Fundament für „die Zeit danach“ legt.

Es ist natürlich immer schön, gute Perspektiven zu haben. Dies bedeutet aber nicht, dass wir ohne gute Perspektive einfach nur stehen bleiben und uns nicht mehr in die gewünschte Richtung bewegen, das wäre Verheddern. Wir wählen, ob unser Glas halb leer oder halb voll ist. Es bleibt unsere Verantwortung, Schritt für Schritt unseren Lebensweg unbeschwert von düsteren Aussichten und – im Rahmen des Möglichen – normal weiterzugehen, das ist das Gegenteil von Aktionismus.

Schlussfolgerung

„Ob einer ernst macht im Leben, merkt man nicht an den großen Entschlüssen, sondern an der kleinen Arbeit tagaus, tagein.“ Dieses Zitat von Romano Guardini ist ein Schlüssel zu einem unbeschwerten Leben, auch in Zeiten von Corona.