BienenWenn du das Ziel nicht kennst, ist kein Weg der richtige. Wenn diese Anregung des griechischen Philosophen Plato, wie man den richtigen Weg zum Ziel zu finden kann, stimmt – und der Autor geht davon aus -, dann stellt sich die zunächst Frage, was das Gegenteil von Stress, Burnout, Panikattacken und Depression sein könnte.

Psychologische Selbstregulation ist das Gegenteil von Stress, Burnout, Panikattacken und Depression

Für dieses Gegenteil gibt es einen psychologischen Fachbegriff, nämlich „Selbstregulation“. Psychologische Selbstregulation bedeutet, unter allen Umständen, frei und zuversichtlich zu denken, zu fühlen und zu handeln im Vertrauen darauf, dass die vorhandenen Kräfte reichen, um die gewünschten Ziele in normalen Zeitabläufen zu erreichen. Insofern schließt psychologische Selbstregulation mit ein, dass wir mit Selbstverständlichkeit erwarten können, erfolgreich und wirksam zu handeln, entsprechend unserem individuellen Wollen, ohne Handlungsbarrieren.

Psychologische Selbstregulation ist dabei nicht das so genannte positive Denken, bei dem man negative Wahrnehmungen mit positiven Gedanken, also mit einer Happy-End-Phantasie, manipuliert. Das Denken ist tatsächlich einer der energieaufwändigsten Prozesse für den menschlichen Körper; es unterscheidet uns von den Primaten, die keine dem Menschen vergleichbare Fähigkeit zu denken haben. Man kann diesen Zusammenhang am Energieverbrauch des menschlichen Gehirns nachvollziehen: Das menschliche Gehirn benötigt zwischen 20 und 30 % des gesamten Energieverbrauchs unseres Körpers, um zu funktionieren, Menschenaffen benötigen nur circa 10 % des gesamten körperlichen Energiebedarfs für Ihr Gehirn, andere Säugetiere noch weniger. Weil positives Denken immer Energie kostet, macht es auch die Stärksten mit der Zeit schwächer. Ein Indiz dafür ist, dass sich geübte Positivdenker häufig schwach und kraftlos fühlen, wenn sie nicht die mentale Power und Motivation haben, weiterhin positiv zu denken.

Um die Definition von psychologischer Selbstregulation im Unterschied zum positiven Denken mit Leben zu erfüllen, stellen wir uns am besten vor, wie ein Kind Laufen lernt. Ein Kind sagt bspw. zu seiner Mutter nach dem 753. Laufversuch – wenn es sprechen könnte – üblicherweise nicht: „Mami, ich habe jetzt so viele hundert Mal versucht zu laufen, und es klappt immer noch nicht; ich wäre ziemlich verärgert, wenn du mich nicht für den Rest meines Lebens durchs Leben tragen würdest, aber du wirst das schon tun, weil du ja meine liebe Mami bist.“

Im Gegenteil! Ein Kind versucht normalerweise so lange zu laufen und hört mit seinen Versuchen nicht auf, bis es am Ende tatsächlich und selbstverständlich läuft. Und wenn es endlich laufen kann, dann strahlt es über das ganze Gesicht und ist mächtig stolz, dass das Laufen endlich klappt. Kein Gedanke mehr an die ca. 1400 Laufversuche, bei denen es umgefallen ist, sich weh getan und geweint hat, kein mentaler Manipulationsbedarf, kein Schönreden! Das ist die Idee der psychologischen Selbstregulation.

Was könnte psychologische Selbstregulation in unserem Berufs- und Lebensalltag bedeuten? Dass wir unsere Arbeit in der zur Verfügung stehenden Zeit ohne Erschöpfung schaffen; dass wir selbst und auch unsere Vorgesetzten mit unserer Leistung zufrieden sind oder dass wir unsere Erwartungen und die anderer mit einer gewissen Leichtigkeit übertreffen; dass wir von der Arbeit nicht ausgelaugt sind, sondern in der Freizeit unternehmungslustig sind und Freunde treffen oder ein Ehrenamt bekleiden und dass unser Konto schwarze Zahlen schreibt. Oder so ähnlich, für jeden individuell.

Das ist psychologische Selbstregulation.

 

Was die psychologische Selbstregulation behindert

Wie Wahrnehmung die Zellreaktion steuert

Was behindert unsere psychologische Selbstregulation? Ein mindestens 40000 Jahre alter Mechanismus, der uns Menschen geholfen hat, zur beherrschenden Spezies auf diesem Planeten zu werden. Es ist der sogenannte FFF-Reflex (aus dem Englischen steht das 1. F: Freeze für Erstarren, 2. F: Fight für Kämpfen, 3. F: Flight für Flucht). Er hilft unserem Körper unter physischer Bedrohung durch biologisch verankerte Mechanismen Gefahr zu überleben, weitgehend ohne dass wir unsere Willenskraft und unser bewusstes Denken zum Überleben aktivieren. Der Einsatz von Willenskraft und bewusstes Denken können sich in lebensbedrohlichen Situationen sogar kontraproduktiv auswirken.

Der FFF-Reflex wird durch Emotionen gesteuert. Emotionen sind die elektromagnetische Übertragungsart für Informationen, mit der unser Organismus in Bruchteilen von Sekunden seine zwischen 10 bis 100 Billionen einzelnen Zellen u.a. über Gefahrenzustände informiert.

Die folgenden Emotionen lösen den jeweils besten Überlebensmechanismus aus – ohne unsere bewusste Entscheidung:

  • Ohnmacht, Schock und Entsetzen signalisieren der Wahrnehmungsauswertung in unserem Gehirn, dass unsere Haut unmittelbar bedroht ist. Die angeborene biologische Reaktion darauf ist eine Erstarrung in der Peripherie des Körpers. Diese Erstarrung, wie bei der bewegungslosen Maus vor der Schlange, täuscht dem Fressfeind vor, dass die Beute bspw. nur ein Blatt an einem Baum ist. So tragen diese negativen Emotionen zu unserer Lebensrettung bei.
  • Wut, Ärger und Zorn führen bei uns zu Kampfbereitschaft, wenn unsere Haut nicht unmittelbar gefährdet ist, wir aber zu nah am Fressfeind für eine erfolgreiche Flucht sind. Unsere Kampfbereitschaft signalisiert dem Fressfeind, dass auch er verletzt werden könnte, wenn er angreift. Da in der freien Natur auch kleine Verletzungen für den Fressfeind tödliche Folgen haben können, schützt uns unsere Kampfbereitschaft auch vor einem körperlich überlegenen Feind.
  • Todesangst und Schrecken führen zu Fluchtverhalten, Laufen um das eigene Leben. Da jede Verfolgung für den Verfolger auch Energie kostet und deshalb zu mehr Hunger führt, wenn sie keinen Erfolg haben sollte, schützt die Flucht unser Leben: Das Risiko des Energieverlustes durch Verfolgung ist für den Fressfeind möglicherweise größer, als die Chance, eine leichtere Beute zu finden.

Negative Emotionen lösen also biologische Programme in allen unsere Existenz bedrohenden Gefahren aus, die wir mehr oder weniger bewusst wahrnehmen, und helfen uns zu überleben. Negative Emotionen verursachen reflexhaft Zellreaktionen in unserem Organismus, die wir als die biologischen Überlebensmechanismen Erstarrung, Kampfbereitschaft und Fluchtbereitschaft wahrnehmen.

Wir erkennen diese Zustände daran, dass das Herz schneller zu klopfen beginnt, die Muskeln sich anspannen, der Blutdruck steigt, die Atmung flacher wird, wir anfangen zu schwitzen, der Mund trocken ist und wir nur noch in dem Umfeld klar sehen, in dem unsere Wahrnehmungauswertung Sicherheit für unseren Körper vermutet.

Zusätzlich läuft in diesen Zuständen eine Kaskade von hormonellen Prozessen ab, die wir als generelle Erregung und hohe Reaktionsbereitschaft wahrnehmen. Wenn wir in einer solchen Situation sofort handeln, wie es unseren Willen und Denken vielleicht am meisten entsprechen würde („Ich muss aus dieser Situation sofort ´raus!“), dann ist die Gefahr groß, dass wir der Gefahr erliegen.

Um ein gutes Verständnis dafür zu entwickeln, was unsere psychologische Selbstregulation behindert, müssen wir uns mit ein paar neurowissenschaftlichen Fakten befassen.

Bloße Vorstellung und Sinneswahrnehmung: Kann unser Gehirn sie unterscheiden?

Unsere normale Erfahrung ist es, dass wir sehr wohl unterscheiden können, ob wir etwas wirklich körperlich erleben, oder ob wir es uns nur vorstellen. Deshalb können wir im Fernsehen oder Kino Filme sehen und unsere Welt um uns herum vergessen, und danach doch wieder völlig normal in unserer gewohnten Haut, in unseren Beziehungen und in unserer Umgebung leben. Von den Neurowissenschaften wissen wir, dass für unser Gehirn dieser Unterschied gar nicht so einfach zu differenzieren ist. Allem Anschein nach werden nämlich dieselben Sinnesnerven sowohl von Sinneserfahrungen als auch von Vorstellungen aktiviert.

Diesen Zusammenhang veranschaulicht das folgende einfache Experiment: Stellen Sie sich bitte vor, dass Sie jetzt an einer aufgeschnittenen gelben Zitrone schnuppern und dann in das Fruchtfleisch hineinbeißen. Normalerweise beginnt in ihrem Mund der Speichel zu fließen und Zunge und Gaumen ziehen sich zusammen. Dies ist ein weiterer Beleg für die Tatsache, dass Wahrnehmung zu Zellreaktionen führt, aber nicht nur Sinneswahrnehmung, sondern auch die bloße Vorstellung von Objekten, die sich nicht einmal im Wahrnehmungsbereich unserer Sinne befinden müssen.

Gab es in einer ähnlichen Situation schon einmal Gefahr?

Neben vielen anderen Verarbeitungsmechanismen in unserem Gehirn ist es von Interesse, wie unser Gehirn Gefahren erkennt. Dazu stellt unsere Wahrnehmungsauswertung im Gehirn bezüglich unserer aktuellen Wahrnehmung, Sinneswahrnehmung und Vorstellung gleichermaßen, eine Anfrage an unsere Erinnerung: „ Gab es in einer ähnlichen Situation schon einmal Gefahr?“ Diese Anfrage erfolgt wahrscheinlich viele Male pro Sekunde. Lautet die Antwort: „In ähnlichen Situationen gab es noch nie Gefahr“, dann bleiben wir ruhig, weil unser Leben sicher und damit in Ordnung ist.

Lautet allerdings die Antwort: „ In einer ähnlichen Situation gab es schon einmal Gefahr“, dann haben wir negative Emotionen und sind körperlich ohne Zeitverzug mehr oder weniger erregt. Das Gedächtnis hat die Erregung der entsprechenden ersten Erfahrung gespeichert, weil mit ihrer Aktivierung vermieden werden soll, dass man wieder so negativ überrascht wird, wie bei der ersten Erfahrung. Durch eine gewisse Erregung entsteht in unserem Organismus eine erhöhte Reaktionsbereitschaft, damit wir mit der erneuten Gefahr schneller und effektiver umgehen können.

Wie ein gutes Gedächtnis zum Nachteil werden kann

Gemeinhin besteht die Ansicht, dass ein gutes Gedächtnis von Vorteil ist, und daran besteht prinzipiell kein Zweifel. Je mehr wir darüber lernen, wie wir bspw. mit unseren Mitmenschen und den Gefahren des Lebens umgehen, desto besser können wir sie auch handhaben. Wir lernen, worauf wir achten müssen und was wir unterscheiden müssen, um unsere Beziehungen zu den Mitmenschen und der Welt konstruktiv mitzugestalten.

Diese Fähigkeit zur Selektion und Differenzierung der Wahrnehmung ist unter Gefahr verändert. Unser Gedächtnis merkt sich unter Gefahr alles nur Denkbare, alle Sinneswahrnehmungen und Vorstellungen, die für es die Auslöser einer Gefahr sein können. Diese Gedächtnisbildung erfolgt automatisch und ohne rationale Überprüfung, ob Erinnerungen, die in gefährlichen Situationen gespeichert werden, tatsächlich die spezifischen Auslöser von Gefahr sind oder einfach nur Begleitumstände. Dahinter steht die biologische Intention unter allen Umständen für den Fall gewappnet zu sein, wenn sich eine ähnlich gefährliche Situation wiederholen sollte.

Das Gedächtnis häuft so unter Gefahr immer mehr mit Erregung verbundene und nicht selektierte und differenzierte Inhalte an. Diese werden bei der Abfrage, ob es in einer ähnlichen Situation schon einmal Gefahr gab, aufgerufen und erinnert. Sie melden in der Konsequenz auch immer mehr Gefahren – und wir sind in immer mehr Situationen erregt. Das Fatale daran ist darüber hinaus, dass die Erinnerung – im Gegensatz zu einer physischen Gefahr – nicht einfach irgendwann ein Ende hat. Stattdessen liegt eine erlernte Stressreaktion in unserem Gedächtnis jederzeit abrufbereit vor und kann sich beliebig häufig wiederholen.

Erleben wir einmal einen Erregungszustand, waren wir eben ‘mal aufgeregt – und das war’s. Wenn sich solche Situationen häufen, sind wir gestresst. Wenn wir immer mehr Gefahren und Unwegsamkeiten in unserem Leben wahrnehmen, haben wir vielleicht bald einen Burn-out, eine Depression oder eine Panikattacke. Das ist zwar sehr knapp formuliert, trifft aber den Kern der Problematik.

Ein Beispiel für Handlungsbarrieren

Nehmen wir für ein Gedankenexperiment an, uns ist ein Autounfall passiert. Kurz bevor wir bewusstlos werden, speichert unser Gedächtnis noch das Quietschen der bremsenden Reifen, ein Reifenprofil, den Geruch von Gummi und unsere Todesangst. Nehmen wir weiter an, dass wir uns von dem Unfall physisch vollkommen erholen.

Man kann sich in diesem Gedankenexperiment vorstellen, dass wir uns sowieso unsicher fühlen, wenn wir nach einem solchen Unfall in der Nähe einer befahrenen Straße unterwegs sind. Man könnte sich aber auch vorstellen, dass schon das Quietschen von Reifen, irgendein sichtbares Reifenprofil auf einem Werbeplakat oder nur der Geruch von Gummi in uns ein mulmiges Gefühl auslösen.

Obwohl wir dieses negative Gefühl lieber vermeiden würden, verfolgt es uns, auch in unseren Rückzugsgebieten. Unser Rückzugsgebiet, in dem wir uns sicher fühlen, ist zum Beispiel unsere Wohnung, in der es keine Reifen gibt. Doch eines Tages bringt irgendjemand bspw. einen Fahrradreifen in die Wohnung, und unsere unwillkürlichen Reflexe haben damit auch unser Rückzugsgebiet erreicht: Wir fühlen uns jetzt auch in unserer Wohnung unsicher, usw..

Stress behindert die psychologische Selbstregulation

Unser FFF-Reflex, der uns in der freien Natur vor Gefahren schützt, kann über die Sinne und gleichermaßen durch die unbewusste Erinnerung und Vorstellung ausgelöst werden. Nur der durch Erinnerung und Vorstellung aktivierte FFF-Reflex, wie in dem Beispiel mit dem Autounfall oben dargestellt, blockiert unsere psychologische Selbstregulation, indem unser Handlungsspielraum immer mehr eingeschränkt wird: Diesen Zustand nennt man Stress und dieser führt zu leidigen Handlungsbarrieren.