masks-310474_1280_kDer Begriff der psychologischen Selbstregulation bezeichnet in der Psychologie diejenigen bewussten und unbewussten Mechanismen, mit denen wir Menschen unsere Aufmerksamkeit, die Emotionen, die Impulse und unsere Handlungen automatisch steuern. Wenn diese Mechanismen ihre normale Arbeit verrichten, funktionieren auch unsere sogenannten exekutiven Funktionen. Mit diesen passen höhere Lebewesen, also Primaten und Menschen, ihr Verhalten an die Bedürfnisse des eigenen Überlebens, also bspw. Erfolg und Liebe, und die Bedürfnisse der Umgebung, bspw. Einschränkungen durch Hitze, Nahrungsmangel und Kälte, an.

Die Fähigkeit exekutive Funktionen auszuüben ermöglicht genauere Vorhersagen, ob man finanziell erfolgreich wird oder körperlich und geistig gesund bleibt, als der persönliche IQ oder die soziale und ökonomische Herkunft.

Zu diesen Fähigkeiten, die allen Umsetzungen von Handlungen vorangehen und sie begleiten gehören
• das vorsätzliche Setzen und Erreichen von Zielen
• die Lenkung der Aufmerksamkeit
• die Planung von strategischen Konzepten zur Erreichung dieser Ziele
• die Erwägung von möglichen Hindernissen auf dem Weg zum Ziel
• die Entscheidung über Prioritäten
• die Initiative, Koordination und Aufteilung der erforderlichen Handlungen
• die Impulskontrolle und emotionale Selbstregulation
• die Umsetzung in Bewegungen, das Beobachten der Handlungsergebnisse und deren Korrektur.

Wenn wir diese exekutiven Funktionen mit willentlicher und erzwungener Anstrengung ausüben müssen, verbraucht unser Gehirn ungewöhnlich viel Energie, wir sind dann früher oder später erschöpft und ermattet. Das ist der Zustand bspw. eines Perfektionisten. Wenn dagegen insbesondere unser präfrontaler Cortex (zwischen den Schläfen und hinter der Stirn) biologisch intakt ist, funktionieren die oben beschriebenen exekutiven Funktionen quasi automatisch, ohne dass wir uns im Detail darum kümmern müssen. Das ist der Zustand der psychologischen Selbstregulation.

Psychologische Selbstregulation ist ein Bewusstseinszustand relativer und verlässlicher Leichtigkeit und emotionaler und mentaler Normalität ohne ein Zuviel an Anstrengung. Wie können wir diesen Bewusstseinszustand so verstehen, dass wir ihn in unserem Alltag umsetzen und nutzen können? Dazu verhelfen uns Betrachtungen von Leichtigkeit und Ernst.

Leichtigkeit und Ernst im Leben

Um unsere Emotionen zu verstehen lohnt sich häufig ein Blick ins Tier- und Pflanzenreich. In Tierfilmen können wir beispielsweise beobachten, wie Tiere und Pflanzen in freier Wildbahn in zwei unterschiedlich zu charakterisierenden Zuständen leben: Tiere befinden sich im Spiel oder sie sind auf der (ernsten) Jagd nach Beute.

Leichtigkeit und Spielen

Spiel ist dabei unterhaltsamer Zeitvertreib, meistens in Begleitung anderer. Wenn sich zum Beispiel zwei Hunde balgen, dann knurren und konkurrieren sie, mal ist der eine vorne dran, mal der andere. Charakteristisch für das Spielen ist, dass die Hunde das Spielen lassen, wenn sie erschöpft sind. Oder sie hören mit dem Spielen auf, wenn es etwas Wichtigeres zu tun gibt, z.B. Fressen. Ein weiteres Charakteristikum für Spiel unter Tieren ist es, dass der Körper der Tiere unversehrt bleibt.

Spielen ist auch für uns Menschen ein eigenständiger Kulturfaktor und der Ursprung für viele kulturelle Errungenschaften. Unsere Kultur, das heißt unser normales Miteinander, entsteht beim Spielen.

Dabei ist das Spiel durch die folgenden Eigenschaften (nach Huizinga) gekennzeichnet:

  • Freiwilligkeit (bzw. ohne Zwang oder Vorschrift) der Handlung oder Beschäftigung
  • Gehorcht bindenden Regeln, vor allem:
    • Die anderen Teilnehmer nicht körperlich oder seelisch verletzen
    • Ursache und Wirkung beachten
    • Wahrhaftigkeit
  • Alle Teilnehmer am Spiel erleben die festgesetzte Zeit spannend und/oder freudig
  • Spiel ist anders (oder besser) als das normale Leben
  • Die Zeit im Spiel vergeht gefühlt schneller als im Alltag
  • Spiel ist mit Leichtigkeit, kreativer Problemlösung und experimentellerSelbstorganisation verbunden, man will es wiederholen
  • Spiel vermittelt den Lebenssinn und Lebensweg, u.a. über Versuch und Irrtum

Beim Spielen ist die größte Gefahr das Verlieren. Davon sind aber Leib und Leben weitgehend unberührt, insofern bringen wir Spielen mit Leichtigkeit – ohne gefährliche Konsequenzen für unseren physischen Körper und die, die von unserer physischen Existenz abhängen – in Verbindung.

Leichtsinn

Von der Leichtigkeit des Spiels ist der Leichtsinn zu unterscheiden, der sich besonders dadurch zeigt, dass die für das Spiel bindenden Regeln nicht die gebührende Beachtung finden. U.a. zeichnet sich der Leichtsinn auch dadurch aus, dass die bindenden Regeln immer wieder unterschiedlich und nach egoistischen Motiven (Lüge und Frivolität) ausgelegt werden. Dazu gehört auch das läppische Verhalten, das sich zu viel Spielraum nimmt.

Überlebenskampf ist Ernst

Um zu überleben, verfolgt ein jagendes Tier seine Beute. Gelingt die Jagd, überlebt der Jäger und die Beute verliert ihr Leben – und damit ihre leibliche Existenz. Misslingt die Jagd, ist die körperliche Existenz des jagenden Tieres in Gefahr oder am Ende. Einen solchen Existenzkampf gibt es auch unter Pflanzen um Licht, Wasser und Nährstoffe aus Luft und Boden. Wenn „Hunger“ (der Drang zu überleben) verspürt wird, ist es ernst (nichts ist wichtiger), den Existenzkampf zu einem hoffentlich positiven Ende zu bringen.

Ernst in der menschlichen Existenz bedingt eine hinreichende Übereinstimmung hinsichtlich einer Wirklichkeit, die für alle gleich ist: Fliegt ein Flugzeug bspw. durch einen Sturm, dann können die Turbulenzen einzelne Passagiere aus den Sitzen schleudern und dadurch Verletzungen mit möglichen schwerwiegenden (ernsten) Folgen auslösen. Deshalb ist das Anschnallen in dieser Situation ernst zu nehmen, sonst ist man selbst schuld, wenn man den Schaden hat, oder muss sich vor anderen wegen seinem Leichtsinn schämen. Ernst (-haftigkeit, Seriosität) ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Glaubwürdigkeit in unserer Gesellschaft. Sie ist das Gegenteil von Lüge und Frivolität und verhindert Gewalt. Ernst ist auch mit dem Tod des physischen Körpers verbunden.

Übersteigerter Ernst

Die Vorstellung von „beinahe nichts“ (V. Jankélévitch) (ein Leben etwa ist nicht ernsthaft lebenswert, weil es zu wenig bietet; eine Lösung bietet nicht alles, sondern nur ein wenig Erleichterung) und auch der Begriff der Unausweichlichkeit (no way; folgenschwerer, nicht wieder gut zu machender ernster Fehler) oder die Vorstellung eines fatalen Endes unterscheiden sich vom oben beschriebenen Ernst. Dieser übersteigerte Ernst lässt uns keine Distanz und keinen Spielraum für Alternativen oder auch zum Atmen. Er ist meistens ohne konkrete physische Gefahr eine Bedrohung für unser Leben und allein durch die entsprechende Vorstellung eine kaum zu ertragende Last. Übrigens: Unter tatsächlicher Gefahr für unseren Körper verliert dieser übersteigerte Ernst meistens sehr schnell seine Bedeutung für uns.

Balance zwischen Leichtigkeit und Ernst

Psychologische Selbstregulation entsteht aus einer Balance von Leichtigkeit und Ernst. Zu viel Leichtigkeit unterfordert uns, wenn Situationen für uns zu ernst werden, ist unsere Bereitschaft zu handeln irgendwann erschöpft. Eine Balance von Leichtigkeit und Ernst ermöglicht es uns, unsere exekutiven Funktionen am Laufen zu halten.

Yerkes DodsonWir erhalten dadurch auf Gehirnebene ein intaktes Frontalhirn (Frontallappen, insbesondere Präfrontaler Cortex) und ein ausbalanciertes Zusammenspiel von Nervenbahnen mit den zugehörigen Neurotransmittern.

Wie die Balance zwischen Leichtigkeit und Ernst fördern?

Spielen Sie einfach ein paar Minuten (5 bis 10 Minuten) täglich mit Ihren grauen Hirnzellen! Nutzen Sie Ihre Vorstellungskraft, um Abstand zu gewinnen.

Spielen Sie sich Ihr spezifisches Problem einmal als Drama („schlechtes Ende“) und einmal als Komödie („gutes Ende“) durch. Der häufigste Fehler, der dabei gemacht wird, ist, dass man sich nicht traut, eine Komödie aus seinem Problem zu machen! Stellen Sie sich also Ihren Lieblings-Comedian vor, wie er den Sachverhalt pointiert verspottet. Nur zu, es darf garantiert auch über Ihr Problem herzlich gelacht werden!

Eine andere spielerische Übung ist die Vorstellung, dass Sie mit einer Bergbahn von der Talstation auf den Berg fahren. Das Problem bleibt im Tal mit den hohen Bergwänden und wird wie alles, was man im Tal sehen kann, bei der Bergfahrt immer kleiner, bis man immer mehr die freie Aussicht auf die von der Sonne beschienenen hohen Berggipfel und die weiten Ebenen genießen kann, die man vom Tal aus nicht einmal sieht oder gar erahnen kann. Erfreuen Sie sich an der erweiterten Perspektive!