Beim Stöbern durch Veröffentlichungen der letzten Zeit bin ich auf drei interessante Berichte im Deutschen Ärzteblatt gestoßen, immerhin das Standesorgan der Selbstverwaltung der deutschen Ärzteschaft!

Die Reproduzierbarkeit der wissenschaftlichen Studienergebnisse zu Krebserkrankungen

Es geht dabei um die Wiederholbarkeit der Studienergebnisse von wissenschaftlichen Studien, die großen Einfluss auf die Behandlung von Krebserkrankungen haben. Immerhin ist Wiederholbarkeit das Hauptkriterium für wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt. „Wissenschaftliches Arbeiten beschreibt ein methodisch-systematisches Vorgehen, bei dem die Ergebnisse der Arbeit für jeden objektiv nachvollziehbar oder wiederholbar sind.“ (Wissenschaftliche Arbeit, Wikipedia)

Einige geltende Erkenntnisse aus der Krebsforschung könnten falsch sein

„Die wenigsten publizierten Studienergebnisse werden wiederholt und erneut veröffentlicht. Dabei versagen etwa 90 Prozent aller neuen Medikamente, die in präklinischen Studien vielversprechende Wirkung gezeigt haben, in klinischen Studien… Einige Erkenntnisse aus der Wissenschaft könnten daher falsch sein, schreiben die Autoren um Jonathan Kimmelman in ihrer aktuellen Publikation“ (Deutsches Ärzteblatt, 3.7.2017)

Weder Signifikanz noch Effekt reproduzierbar

Eine Reproduzierbarkeit einflussreicher präklinischer Studien ist bei einer Auswahl von 6 aus 50 Studien zu Prostata-, Lungen-, Nieren- und Brustkrebs, sowie zu Myelomen, Leukämie und Melanomen nicht gegeben. „Bei keiner der sechs Studien konnte im Rahmen des RP:CB weder die Signifikanz noch der Effekt reproduziert werden.“ (Deutsches Ärzteblatt, 3.7.2017) Generell scheinen Krebsforscher die Reproduzierbarkeit von diesbezüglichen Medikamentenstudien zu überschätzen.

Antidepressiva: so wirksam wie Placebo?

Zu einem ähnlichen überraschenden Ergebnis kommt auch die Metaanalyse (Analyse von 35 Studien) der führenden Substanzen zur medikamentösen Behandlung von Depression: die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Fluoxetin, Paroxetin, der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin und Nefazodon; diese Wirkstoffe gehören zu den „besten“ derzeit verfügbaren Medikamenten gegen Depressionen. Die Studien zu Sertalin und Citalopram waren wissenschaftlich ungenügend und wurden aus diesem Grund in die Metaanalyse nicht aufgenommen. (Deutsches Ärzteblatt, 26.2.2008)

Antidepressiva nur bei schwerster Depression wirksam

Diese führenden Substanzen sind nach den von den Pharma-Unternehmen selbst bei der Zulassungsbehörde eingereichten Zulassungsunterlagen in 80% der Fälle genauso wirksam, wie Placebo.  Der Schweregrad einer Depression wurde in diesen Untersuchungen mit der Hamilton Depressionsskala gemessen. Dabei gilt ein Wert ab 18 oder darüber als schwere Depression. Die oben genannten Substanzen sind nur ab einem Wert von höher als 26 wirksamer als Placebo.

Die Medkamente bergen Risiken bei der Einnahme durch Jugendliche, die die betroffenen Firmen bei der Markteinführung zunächst verschwiegen haben. Insgesamt werden positive Studien im Sinne der Hersteller in Fachzeitschriften häufiger veröffentlicht, als negative Studien.

Stellungsnahme der Hersteller

Die Hersteller haben nie wirklich Stellung zu dieser Metaanalyse bezogen und auf weitere positive Studien verwiesen, die in der Metaanalyse keine Berücksichtigung gefunden haben. Eine implizite Stellungnahme ist, dass sich so viele verordnende Psychiater und psychologische Psychotherapeuten nicht irren können…

Interessenskonflikte und positive Studienergebnisse zur Arzneimittelwirksamkeit

Die Prüfprotokolle klinischer Studien sind generell nicht öffentlich zugänglich. Diese Sachlage erschwert die wissenschaftliche Überprüfung klinischer Studienergebnisse. Genau diese Studienergebnisse sind aber die wichtigste Grundlage für die evidenzbasierte Arzneimitteltherapie im ärztlichen Alltag.

Studienergebnisse zu Arzneimitteln herstellerfreundlich?

Klinische Studien fallen dreimal positiver für den Hersteller des Arzneimittels aus, wenn der Studienleiter einen Interessenkonflikt mit dem Studienergebnis hat. Diesen Interessenkonflikt hat der Studienleiter, wenn ein Beratervertrag mit dem Hersteller, oder eine bezahlte Vortragstätigkeit oder eine sonstige Zuwendung in Studienreisen und Aktienpaketen durch den Hersteller besteht. Auch fallen vom Hersteller gesponserte Studien häufiger positiv aus, als unabhängige Studien. (Deutsches Ärzteblatt, 18.1.2017)

Das sind die Ergebnisse verschiedener Studien, die im Britischen Ärzteblatt in diesem Jahr veröffentlichst wurden.

Studienleiter sind nicht zwangsläufig Manipulatoren

Studienleiter mit Interessenkonflikten sind aufgrund Ihrer Erfahrung mit Arzneimittelforschung häufig Ansprechpartner für Hersteller, allein deswegen aber noch keine Manipulatoren. Allerdings wäre diese Diskussion beendet, wenn, wie im Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt vorgeschlagen, Ärzte mit Interessenkonflikten von der klinischen Arzneimittelforschung ausgeschlossen würden.

Schlussfolgerung

Wir leben offenbar in einer Welt, deren Verlässlichkeit genau an den Ecken zu wünschen übrig lässt, die wir normalerwiese für stabil halten. Ein guter Grund, sich mehr auf die eigenen Sinne, gesunden Menschenverstand und die eigene Intuition zu verlassen. Was bleibt uns denn sonst übrig?

Übrigens: Eine Metaanalyse im Jahr 2014 im Team rund um Dr. Evan Mayo-Wilson von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore, USA, von 101 epidemiologischen Studien zur Therapie von sozialer Phobie hatte das Ergebnis, dass Psychotherapie wirksamer und nebenwirkungsärmer als Pharmakotherapie bei dieser Diagnose sei. Pharmakotherapie war nur bei den Menschen besser, denen Psychotherapie nicht helfen konnte.